IT-Projekte neu denken: Warum der Projektstart über Erfolg oder Scheitern entscheidet
Stell dir vor, dein Unternehmen will eine neue App einführen. Alle sind motiviert, aber keiner hat sich die Zeit genommen, genau zu definieren, was diese App eigentlich erreichen soll und wie man zusammenarbeitet. Schon nach wenigen Wochen arbeiten Teammitglieder in unterschiedliche Richtungen, es tauchen ständig neue Anforderungen auf und alle diskutieren über die „beste“ Technologie – ohne klare Grundlage. Kommt dir das bekannt vor? Du bist nicht allein: Eine aktuelle PMI-Studie zeigt, dass satte 30 % aller Projekte wegen unklarer Ziele und falsch gemanagter Erwartungen scheitern . Oft entscheidet sich also bereits in den ersten Tagen und Wochen, ob ein IT-Projekt später gefeiert wird oder frustriert scheitert. In diesem Artikel erfährst du, warum gerade der Anfang über die Zukunft des Projekts bestimmt und wie du typische Stolpersteine beim Projektstart vermeidest.
Der Projektstart als Erfolgsfaktor
Viele Projekte beginnen mit großer Euphorie – und enden mit Ernüchterung. Was läuft da schief? Häufig werden in der Anfangsphase Weichen falsch gestellt, die sich später kaum korrigieren lassen. Untersuchungen in der IT-Branche belegen, dass Fehlschläge fast immer auf Versäumnisse in den frühen Phasen zurückzuführen sind . Entscheidungen, die ganz am Anfang getroffen werden – zum Beispiel welche Ziele verfolgt werden, wer eingebunden ist und wie der Plan grob aussieht – haben einen überproportional großen Einfluss auf den Verlauf. Ein gut vorbereiteter Projektstart legt ein stabiles Fundament, während ein chaotischer Start das Projekt ins Wanken bringt, noch bevor es richtig losgeht. Mit anderen Worten: Projects don’t fail at the end, they fail at the beginning. Wenn ein Projekt oder Produkt schlecht startet, ist es unwahrscheinlich, dass es am Ende besser dasteht . Deshalb gilt es, IT-Projekte „neu zu denken“ und der Startphase deutlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als es in der Hektik des Tagesgeschäfts oft der Fall ist.
Typische Stolpersteine am Anfang von IT-Projekten
Schauen wir uns die häufigsten Probleme an, die in der Startphase von IT-Projekten auftreten. Du wirst einige davon sicher aus eigener Erfahrung kennen. Wichtig ist: Jedes dieser Probleme kann später zum Projektkiller werden – umso mehr Grund, sie von Anfang an aktiv anzugehen.
Unklare Ziele und verschwommene Vision 🥅
Eines der größten Risiken ist, ein Projekt zu starten, ohne genau zu wissen, was man überhaupt erreichen will. „Irgendwas mit KI“ oder „neue Software einführen“ sind keine klaren Ziele. Wenn das Team und die Auftraggeber:innen keine gemeinsame Vision haben, geht das Projekt buchstäblich ziellos auf die Reise. Die Folge: Jeder interpretiert etwas anderes hinein, Prioritäten bleiben unklar und am Ende ist niemand so richtig zufrieden. Unklare Ziele gehören zu den Hauptgründen für Projektmisserfolg – schließlich kann kein Projekt liefern, was nie definiert wurde. Stell dir ein Navi ohne Zieladresse vor: Egal wie schnell du fährst, du weißt nicht, ob du ankommst.
Was kannst du tun? Nimm dir vor dem offiziellen Projektstart Zeit, um die Vision und die Ziele messerscharf zu formulieren. Am besten machst du das im Team und mit dem Auftraggeber gemeinsam. Definiert ein klar umrissenes Zielbild: Was soll am Ende anders sein? Welche messbaren Ergebnisse sollen erzielt werden (z.B. „10% mehr Conversion im Online-Shop“ statt nur „Shop modernisieren“)? Halte fest, was Erfolg bedeutet – und auch, was nicht zum Projektziel gehört (Stichwort „Nicht-Ziele“, um den Umfang abzugrenzen). Eine gute Methode ist es, ein kurzes Projektmission-Statement zu schreiben oder eine Lean-Canvas auszufüllen. In einem Inception-Workshop (dazu später mehr) wird typischerweise als erstes eine gemeinsame Produktvision und messbare Erfolgskriterien erarbeitet . Wichtig ist, dass du als Projektverantwortliche/r alle Beteiligten auf ein gemeinsames Ziel einschwörst – nur dann können später alle am gleichen Strang ziehen.
Fehlende Abstimmung und Stakeholder-Chaos 🤝
Direkt mit dem vorherigen Punkt verknüpft ist die mangelnde Abstimmung im Team und mit den Stakeholdern. Vielleicht kennst du das: Die IT-Abteilung versteht unter dem Projekt etwas anderes als die Fachabteilung, der Auftraggeber hat nochmal eine dritte Vorstellung – und gesprochen hat man vor Projektstart kaum miteinander. Ein solches Projekt gleicht einem Schiff, bei dem die Crew in verschiedene Richtungen rudert. Fehlende Stakeholder-Synchronisation führt dazu, dass Konflikte und Missverständnisse vorprogrammiert sind. Spät im Projekt taucht dann plötzlich der Nutzervertreter oder ein externer Berater auf und stellt fest, dass man am eigentlichen Bedarf vorbeiarbeitet – ein Albtraum! Ohne frühe Abstimmung entstehen zudem unrealistische Zusagen: Jeder erwartet etwas anderes und am Ende fühlt sich jeder enttäuscht.
Ein erfolgreicher Kickoff-Workshop bringt alle Beteiligten an einen Tisch und legt gemeinsame Ziele, Rollen und Spielregeln fest. Gerade am Anfang solltest du alle relevanten Parteien ins Boot holen: das Kernteam, Auftraggeber:innen, zukünftige Nutzer oder Fachexperten, ggf. Lieferanten – jeder, der später Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg hat. Veranstalte ein Kickoff-Meeting oder besser noch einen intensiveren Workshop (z.B. eine Projekt-Inception), um die Köpfe zusammenzustecken. Das sorgt dafür, dass alle dieselben Informationen, Ziele und Erwartungen teilen. In diesem Treffen kann man Projektumfang, grober Plan, Rollen und Kommunikationswege festlegen. Eine solche gemeinsame Auftaktveranstaltung harmonisiert das Verständnis von Zielen, Scope und Erfolgskriterien . Wichtig: Klärt auch, wer welche Rolle hat und wer worüber entscheidet. Ein einfaches Mittel ist z.B. ein RACI-Matrix, um Zuständigkeiten transparent zu machen . Wenn du frühzeitig für Abstimmung sorgst, schaffst du Vertrauen und eine positive Teamdynamik. Alle fühlen sich gehört – und das Projekt hat Rückenwind, statt unter Widerständen zu leiden.
Unrealistische Erwartungen – „Alles sofort, bitte!“ 🚀
Ein weiteres klassisches Problem: Die Erwartungshaltung ist völlig überzogen. Vielleicht verspricht der Vertrieb dem Kunden das Blaue vom Himmel („Klar schaffen wir das in drei Monaten!“), oder das Management glaubt, mit einem kleinen Budget eine Wunder-App zu bekommen, die alle Probleme löst. Unrealistische Erwartungen können viele Gesichter haben: viel zu knappe Zeitpläne, illusorische Funktionsumfänge, Ignorieren von Risiken („Was soll schon schiefgehen?“) – kurzum, ein Plan, der nur in einer perfekten Welt funktionieren würde. Die Realität holt solche Projekte schnell ein. Wenn das Team merkt, dass die Vorgaben unerreichbar sind, sinkt die Motivation und Hektik bricht aus. Jeder Sprint wird zum Feuerlöschen. Mismanaged expectations sind ein häufiger Scheitergrund, wie die oben erwähnte Studie belegte . Nichts ist schädlicher, als wenn am Ende alle enttäuscht sind, obwohl das Team eigentlich gute Arbeit geleistet hat – nur eben an den falschen Maßstäben gemessen.
Was tun? Hier hilft nur eines: Erwartungen managen – und zwar offen und früh. Kläre mit dem Auftraggeber und den Stakeholdern von Beginn an, was realistisch ist und was nicht. Versprich nicht ungeprüft das Goldene vom Ei, sondern mache transparent, was möglich ist, wofür es Trade-offs gibt und welche Annahmen ihr trefft. Ein gutes Mittel ist, schon vor Projektstart gemeinsam eine grobe Aufwandsschätzung und eine Prioritätenliste der gewünschten Ergebnisse zu erstellen. So sieht jeder, dass man vielleicht nicht alles gleichzeitig haben kann. Kommuniziere ehrlich die Risiken: „Wenn wir Feature X in Version 1 wollen, könnte sich der Termin verschieben.“ – Solche Gespräche kosten am Anfang etwas Überwindung, ersparen aber später großen Ärger. Setze klare Erwartungen auf beiden Seiten: Was kann das Team liefern, was wird vom Auftraggeber gebraucht (z.B. Mitwirkung von Fachexperten, Bereitstellung von Ressourcen) und welche Erfolgskriterien gelten. Dieses Erwartungsmanagement sollte Bestandteil des Kickoffs sein: Nehmt euch Zeit, um gegenseitig zu formulieren, was jeder unter Erfolg versteht. Eine hilfreiche Technik ist ein „Projekt-Canvas“ oder einfach eine schriftliche Erwartungsvereinbarung, die alle unterschreiben. So haben alle eine Referenz, worauf man sich geeinigt hat. Je früher falsche Vorstellungen korrigiert werden, desto geringer ist die Enttäuschungsgefahr später.
Technikverliebtheit: Vorschnelle Technologiewahl 🛠️
IT-Projekte drehen sich naturgemäß um Technik – doch genau das verleitet oft zu einem Fehler: die Lösung (Technologie) zu wählen, bevor das Problem wirklich verstanden ist. Vielleicht hat sich jemand im Management in ein bestimmtes Produkt „verliebt“ („Dieses neue Tool XY müssen wir einsetzen – unsere Konkurrenz nutzt das auch!“) oder das Entwicklerteam würde am liebsten sofort die neueste Framework-Version ausprobieren. So verständlich die Begeisterung für Technologien ist, so gefährlich ist es, zu früh Festlegungen zu treffen. Wenn bereits in Woche 1 entschieden wird, welche Programmiersprache, Plattform oder Architektur verwendet wird – ohne die Anforderungen und Rahmenbedingungen genau zu kennen –, kann das später zu einem bösen Erwachen führen. Im schlimmsten Fall stellt man fest, dass die gewählte Technologie ungeeignet ist, teuer angepasst werden muss oder gar vom Markt verschwindet. Das Projektteam verbringt dann mehr Zeit damit, die Technik hinzubiegen, als das eigentliche Geschäftsproblem zu lösen. Kurz: Man baut vielleicht das Ding richtig, aber nicht unbedingt das richtige Ding.
Was tun? Löse dich am Anfang vom Technologiefetisch. Konzentriere dich erst auf das Was und Warum, bevor du das Wie (mit welcher Technologie) beantwortest. Natürlich darfst du schon früh technische Optionen evaluieren – oft ist es sinnvoll, grobe Architekturüberlegungen anzustellen oder technische Risiken (z.B. Integration mit einer alten Datenbank) zu identifizieren. Aber vermeide endgültige Festlegungen, solange die Anforderungen noch nicht klar sind. Bleibe bewusst technologie-agnostisch in der Anfangsphase: Formuliere Anforderungen und Erfolgskriterien technologie-neutral („Wir brauchen mobile Zugriffsmöglichkeit“ statt „Wir bauen eine iOS-App“). Wenn möglich, probiere verschiedene Optionen aus, bevor du dich festlegst – z.B. durch kleine Proof of Concepts oder technische Spike-Lösungen in den ersten Iterationen. Und wenn bereits eine Lieblings-Technologie im Raum steht, hinterfrage sie kritisch: Passt sie wirklich zu den Projektzielen, zum Budget, zur vorhandenen IT-Landschaft und zum Know-how des Teams? Oft lohnt es sich, im Rahmen eines Inception-Workshops auch Architekt:innen einzubeziehen, um Vor- und Nachteile verschiedener Ansätze abzuwägen, anstatt blind dem Hype zu folgen. Die Devise lautet: Erst das Problem verstehen, dann die richtige Lösung (Technik) auswählen – und nicht umgekehrt.
Scope Creep vorprogrammiert: Unscharfer Scope und fehlende Prioritäten 📌
Zu guter Letzt ein Klassiker: Schwaches Scoping. Darunter fallen mehrere verwandte Probleme: Der Umfang des Projekts (Scope) wird zu Beginn nicht klar abgegrenzt, es gibt keine Priorisierung der Anforderungen, und damit ist Tür und Tor geöffnet für Scope Creep – das unkontrollierte Anschwellen des Projektumfangs. Wenn am Anfang nicht eindeutig gesagt wird „Das machen wir und das machen wir nicht“, dann kommt garantiert im Verlauf immer mehr dazu. Neue Features hier, Extrawünsche dort, Änderungen überall, weil niemand die Grenze sieht. Das Projekt droht aufzublähen und sich zu verzetteln. Ohne Prioritäten fehlt außerdem der Fokus: Das Team arbeitet vielleicht fleißig, aber nicht unbedingt zuerst an den wichtigsten Dingen. Im Worst Case verliert man viel Zeit mit netten Nebenfunktionen, während ein Kern-Feature zu spät angegangen wird. Das Ergebnis: Die Deadline naht, wichtige Teile sind unfertig, und man muss dann in Panik entweder Funktionalität streichen oder die Zeit überziehen. Kein gutes Szenario.
Was tun? Scoping ist Chefsache – gleich zu Beginn. Definiere gemeinsam mit dem Kunden/Stakeholdern den Projektumfang so klar wie möglich. Ein hilfreicher Ansatz ist, eine Liste der “Must-haves” vs. “Nice-to-haves” aufzustellen. Methoden wie die MoSCoW-Priorisierung können dabei unterstützen: Markiere Anforderungen als Must, Should, Could oder Won’t have. So schaffst du ein gemeinsames Verständnis, was wirklich zum Kern des Projekts gehört und was optional ist. Ebenso wichtig: Benenne aktiv die Nicht-Ziele – also was ausdrücklich nicht Teil des Projekts ist. Das kann schriftlich im Projektauftrag festgehalten werden. Darüber hinaus ist es ratsam, auf ein MVP-Denken (Minimum Viable Product) hinzuarbeiten: Frag dich, was die kleinstmögliche Lösung ist, die einen echten Wert liefert. Vielleicht kann das Projekt in Phasen gedacht werden, statt alles auf einmal liefern zu müssen. Ein Scoping-Workshop zu Projektstart – manchmal auch Product Discovery oder Ideation Workshop genannt – hilft enorm: Hier kommen Stakeholder zusammen, um den Problemraum abzustecken, User Stories auf hohem Niveau zu sammeln und diese grob zu priorisieren. Ergebnis ist oft ein erstes Product Backlog mit priorisierten Epics oder Funktionen. Dadurch weiß das Team, womit es anfangen soll und was auch mal warten kann. Priorisierungsmethoden gibt es viele (Kano-Modell, Business Value vs. Effort Matrix, usw.), wichtig ist nur, eine davon zu nutzen! Denn ohne Prioritäten hat jedes Feature höchste Priorität – und das führt ins Chaos. Schärfe den Scope von Anfang an und du ersparst dir spätere Grundsatzdiskussionen.
Bewährte Methoden und Formate für einen gelungenen Projektstart
Nach den ganzen Stolpersteinen fragst du dich vielleicht: „Okay, verstanden – aber wie stelle ich es konkret besser an am Anfang?“ Keine Sorge: Es gibt erprobte Methoden und Workshop-Formate, die dir helfen, den Projektstart strukturiert und erfolgreich zu gestalten. Hier sind einige bewährte Ansätze, die du in der Praxis nutzen kannst:
Opportunity Assessment – das mögliche Projekt auf Herz und Nieren prüfen: Noch bevor ein Projekt offiziell startet, kannst du eine Opportunity Assessment durchführen. Das ist eine kurze, strukturierte Vorphase, in der geprüft wird, ob und warum ein Vorhaben überhaupt Sinn ergibt. Im Grunde fragst du: Lösen wir das richtige Problem? Passt es zur Strategie? Haben wir die nötigen Ressourcen? Diese Methode basiert auf Best Practices der Chancenbewertung und stellt sicher, dass Stakeholder-Bedürfnisse und Erwartungen von Anfang an im Mittelpunkt stehen . Viele erfolgreiche Organisationen (z.B. im CIA-IT-Management, aus dem der Ansatz stammt) haben Opportunity Assessments als festen ersten Lebenszyklus-Schritt eingeführt . Konkret läuft das so: Man trifft potenzielle Kunden/Nutzer, sammelt ihre Bedürfnisse, prüft Machbarkeit und strategischen Fit, und entscheidet dann begründet, ob aus der Idee ein Projekt werden soll. So vermeidest du, dass wertvolle Zeit in „tote Pferde“ investiert wird. Frage dich also zu Projektbeginn: Gibt es genügend Nutzen und Unterstützung, um dieses Projekt zu rechtfertigen? Wenn ja, weißt du auch gleich, worauf es den Stakeholdern ankommt – beste Voraussetzung für einen klaren Start.
Inception-Workshop – alle an einen Tisch für die gemeinsame Ausrichtung: Ein Inception-Workshop (auch Project Inception oder Product Discovery Workshop genannt) ist ein intensiver Kickoff-Workshop, der meist ein bis zwei Tage dauert. Hier kommt das gesamte Team mit Kunden und Stakeholdern zusammen, um ein gemeinsames Verständnis und einen Plan zu erarbeiten. Der Spruch „Well begun is half done“ trifft hier absolut zu: Wenn du am Anfang Zeit investierst, um zusammen Vision, Ziele, Scope und Vorgehen zu erarbeiten, zahlst du massiv auf den Projekterfolg ein. Inception-Workshops haben typischerweise mehrere Ergebnisse: Es wird eine Produktvision formuliert, Zielgruppen und deren Bedürfnisse werden beschrieben, ein grober Backlog mit priorisierten Features (bis hin zu einer MVP-Definition) entsteht, man diskutiert erste UX/UI-Ideen und technische Architektur auf hoher Ebene, identifiziert Risiken und Abhängigkeiten und klärt Rollen sowie Zusammenarbeit im Team . Kurz: Man schafft ein gemeinsames Big Picture. Dieser Aufwand lohnt sich – der Workshop reduziert Risiken, baut Vertrauen auf und sorgt für Ausrichtung auf den Wert . Praktisch läuft eine Inception oft mit vielen interaktiven Methoden ab: z.B. Vision Statement kreieren, Personas erstellen, Story Mapping, Risk Storming, Definition of Done festlegen, etc. Am Ende sind alle wichtigen Punkte einmal besprochen und dokumentiert. Das Team startet danach mit einem erheblich klareren Bild in die Umsetzung. Übrigens kann man solche Workshops auch wiederholen, etwa vor einer neuen Projektphase, um neu zu justieren. Die Investition in einen Inception-Workshop am Anfang wirst du kaum bereuen – er ist der Grundstein für „alle auf derselben Seite“.
Risk Pre-Mortem – Risiken antizipieren, bevor sie eintreten: In klassischen Projekten macht man am Ende eine Post-Mortem-Analyse („Lessons Learned“), wenn etwas schiefging. Ein Pre-Mortem dreht den Spieß um und findet vor Projektstart statt: Das Team stellt sich im Voraus vor, das Projekt wäre gescheitert, und brainstormt alle denkbaren Gründe dafür . Diese etwas makabre Übung hat enormen Wert, denn sie erlaubt eine ehrliche, vorausblickende Risikoanalyse ohne Beschönigung. Studien zeigen, dass dieser prospective hindsight-Ansatz die Fähigkeit erhöht, zukünftige Problemursachen korrekt zu identifizieren – um bis zu 30 % . In der Praxis versammelst du dein Team (und wenn möglich ein paar externe „kritische Geister“) und sagst: “Stellt euch vor, es ist ein Jahr später und unser Projekt ist ein Desaster. Was ist alles schiefgelaufen?” Anfangs zögern die Leute vielleicht, aber dann sprudeln oft die Punkte: „Die Anforderungen haben sich ständig geändert“, „Server ausgefallen“, „Stakeholder X hat nie Feedback gegeben“ usw. Alle diese potenziellen Stolpersteine werden gesammelt – und dann diskutiert ihr: Welche Risiken sind am wahrscheinlichsten und hätten die gravierendsten Auswirkungen? Daraus entwickelt ihr Gegenmaßnahmen: Was können wir jetzt tun, um dieses Szenario zu verhindern? Das Ergebnis eines Pre-Mortem ist eine priorisierte Risikoliste mit konkreten Maßnahmen, die ins Projekt eingeplant werden. So geht ihr viel gewehrter in den Projektstart, weil ihr die dunklen Wolken am Horizont bereits erkannt habt. Ein Pre-Mortem ist fordernd (man muss ehrlich zu sich selbst sein), aber unglaublich hilfreich – es ist quasi eine Versicherung gegen spätere Überraschungen.
Priorisierungsmethoden – den Fokus bewahren: Wie schon betont, die Kunst beim Projektstart besteht darin, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Dabei helfen euch Priorisierungsmethoden. Je nach Projektgröße könnt ihr einfache oder ausgefeilte Techniken nutzen. Für kleinere Teams reicht manchmal ein gemeinsames Ranking auf Sticky Notes: Jeder vergibt Punkte für die wichtigsten Features. In agilen Projekten ist die MoSCoW-Methode beliebt: Kategorisiere Anforderungen in Must, Should, Could, Won’t. Dadurch entsteht automatisch ein erster Fokus auf „Must-haves“. In anderen Fällen hilft eine Wert/Kosten-Matrix: Schätzt den Business Value jeder größeren Funktion und den Aufwand – was ein hohes Value/Cost-Verhältnis hat, kommt nach vorne. Wichtig ist, diese Priorisierung im Kickoff festzuzurren und von den Stakeholdern abzusegnen. So kann später niemand sagen, er habe die Prioritäten anders gesehen. Auch während der Umsetzung solltet ihr die Prioritäten im Blick behalten und bei Bedarf neu justieren (Backlog Refinement etc.), aber der erste Wurf entsteht idealerweise zum Projektstart. Ein positiver Nebeneffekt: Stakeholder müssen sich früh einigen, was ihnen am wichtigsten ist – das schafft Klarheit und oft auch Überraschungen („Ach, das ist euch wichtiger als jenes? Gut zu wissen!“). Mit klaren Prioritäten steuerst du dein Projekt wie ein Kompass durch schwierige Gewässer: Wenn Zeit oder Budget knapp werden, fokussierst du auf die Top-Prioritäten und stellst sicher, dass zumindest diese delivered werden.
Frühe Stakeholder-Einbindung und Erwartungsklärung – alle ziehen an einem Strang: Last but not least: Kommunikation! Nichts ersetzt den persönlichen Austausch und die kontinuierliche Abstimmung mit den Beteiligten – gerade am Anfang. Plane deshalb bewusst Aktivitäten zur Stakeholder-Synchronisation ein. Das kann ein gemeinsamer Kickoff-Workshop sein (wie oben beschrieben), aber auch schon vor offiziellem Projektbeginn einzelne Gespräche: Führe Interviews mit Schlüssel-Usern, hole dir die Sicht der Support-Abteilung, sprich mit dem Datenschutz-Team, etc. – all jene, die später ein Wörtchen mitreden könnten. Je früher du deren Anliegen kennst, desto geringer die Chance böser Überraschungen. Halte die Erwartungshaltungen schriftlich fest: z.B. ein gemeinsames Expectation-Management-Dokument oder auch einfach Meeting-Protokolle, in denen steht „Stakeholder X erwartet A, B, C; wir haben erklärt, was realistisch ist“. Oft hilft es, Erwartungen visuell abzugleichen – etwa durch einfache Grafiken oder eine Roadmap-Skizze, wann welche Gruppe was bekommt. Scheue dich nicht, unbequeme Punkte klarzustellen („Feature Y ist nicht in Phase 1 enthalten – einverstanden?“). Diese Offenheit zahlt sich aus. Und nach dem Kickoff ist vor der Kommunikation: Etabliere von Anfang an regelmäßige Abstimmungen (Jour Fixe, Review-Meetings, Status-Updates), damit alle informiert bleiben. So bleibt das Projekt auf Kurs und niemand fühlt sich abgehängt. Ein gut kommunizierter Start erzeugt ein Gefühl von „Wir sitzen alle im selben Boot“ – und das ist Gold wert.
Fazit: Der Anfang bestimmt das Ende
IT-Projekte neu zu denken heißt vor allem, dem Projektstart den Stellenwert zu geben, den er verdient. Ob ein Projekt erfolgreich sein wird oder nicht, entscheidet sich zu einem großen Teil in den ersten 5–10 % der Projektzeit. Wenn du zu Beginn klare Ziele setzt, alle an Bord holst, realistische Rahmenbedingungen schaffst, technisch mit Bedacht vorgehst, den Scope schärfst und mit den richtigen Methoden arbeitest, legst du ein Fundament, auf dem das Projekt stabil aufbauen kann. Die Anfangsphase ist der Hebel, mit dem du spätere Risiken minimierst: Was du jetzt investierst, sparst du später zehnfach ein – an Nacharbeit, Krisenmeetings und Stress. Viele typische Projektprobleme (Scope Creep, Daueränderungen, Erwartungsenttäuschungen) lassen sich durch einen durchdachten Start erheblich reduzieren oder ganz vermeiden. Denk also das nächste Mal daran, wenn ein IT-Projekt ansteht: Nimm dir die Zeit für einen sauberen Projektstart. Mache dir die Ziele bewusst, plane die Zusammenarbeit, rede mit allen Beteiligten, und setze Tools wie Inception-Workshops oder Pre-Mortems ein. Du „neustartest“ damit im Kopf, wie Projekte angegangen werden. Und die Mühe lohnt sich: Statt Feuerwehrübungen im Nachhinein zu betreiben, sorgst du dafür, dass dein Projekt gar nicht erst in Flammen aufgeht. Starte richtig – und die Erfolgschancen deines IT-Projekts schießen in die Höhe. Viel Erfolg beim Ausprobieren in deinem nächsten Projekt!
Quellen
Cockburn, Alistair – Hexagonal Architecture
https://alistair.cockburn.us/hexagonal-architecture/
INSEAD Knowledge – The Power of Thinking Backwards: Pre-Mortem Analysis
https://knowledge.insead.edu/strategy/power-thinking-backwards-pre-mortem-analysis
Interaction Design Foundation – Project Inception Workshop
https://www.interaction-design.org/literature/article/the-project-inception-workshop-a-tool-for-better-team-alignment
McKinsey – Delivering large-scale IT projects on time, on budget, and on value
https://www.mckinsey.com/business-functions/mckinsey-digital/our-insights/delivering-large-scale-it-projects-on-time-on-budget-and-on-value
PMI (Project Management Institute) – Pulse of the Profession 2023
https://www.pmi.org/learning/library/pulse-of-the-profession-2023-14031
Product Focus – Opportunity Assessment Guide
https://www.productfocus.com/toolkits/opportunity-assessment-toolkit/
Risk Management Essentials – How to Run a Project Pre-Mortem
https://www.riskmanagementmonitor.com/how-to-run-a-project-pre-mortem/
ThoughtWorks – Agile Inception Deck
https://www.thoughtworks.com/insights/blog/agile-inception-deck
UX Collective – How to Run a Great Product Discovery Workshop
https://uxdesign.cc/how-to-run-a-great-product-discovery-workshop-8f9632e16c7d