Psychologische Sicherheit im Team: Buzzword oder echter Erfolgsfaktor?

Psychologische Sicherheit im Team: Buzzword oder echter Erfolgsfaktor?

Psychologische Sicherheit bedeutet, dass sich Teammitglieder trauen, sich verletzlich zu zeigen – etwa Fehler einzugestehen oder unbequeme Fragen zu stellen – ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen . Der Begriff geht auf die Harvard-Professorin Amy Edmondson zurück. In einer ihrer Studien mit Klinik-Teams zeigte sie, dass Gruppen, die offen über Fehler sprechen, ihre Leistung deutlich steigern konnten . Auch Google bestätigte das Konzept: Im Forschungsprojekt Aristoteles fand der Konzern heraus, dass erfolgreiche Teams dadurch gekennzeichnet sind, dass Mitarbeitende sich keine Angst vor Fehlern oder Kritik machen .

Mehr Leistung, Innovation und Lernkultur

Ein innovationsfreundliches Klima wirkt sich direkt auf die Ergebnisse aus. Google fand zum Beispiel, dass Teams mit hoher psychologischer Sicherheit seltener auseinanderfallen und von Vorgesetzten doppelt so oft als effektiv bewertet werden . Parallel zeigen Studien: In solchen Teams melden Mitarbeitende aktiv Fehler und Probleme, statt sie aus Angst zu verschweigen – was rasches Lernen und Problemlösen ermöglicht . Dadurch lernen Teams schneller, denn Offenheit fördert Lernprozesse . Sogar in medizinischen Teams führte mehr psychologische Sicherheit zu deutlich geringerer Patient*innen-Sterblichkeit , weil Fehler schneller geteilt und behoben wurden. Zusammengefasst: In Teams mit psychologischer Sicherheit steigt Kreativität und Leistungsfähigkeit – weil sich alle einbringen können, ohne Angst zu haben. Viele Unternehmen berichten, dass sich etwa ihre Entwicklungszyklen verkürzten, nachdem die Teams gelernt hatten, Fehler offen anzusprechen.

Fehlerkultur, Problemlösung und Teamtreue

In einem psychologisch sicheren Team traut sich jedes Mitglied, Probleme anzusprechen, ohne Sanktionen zu befürchten. Das ermöglicht schnelle Problemlösung: Fehler werden früh erkannt und behoben, bevor sie zu größeren Schäden führen . Ein anschauliches Beispiel lieferte Google: In einem Workshop wies ein Teamleiter namens „Uli“ eine Idee öffentlich zurück und stellte den Kollegen danach hinter seinem Rücken bloß . Anschließend brachte niemand mehr neue Vorschläge ein – das Projekt scheiterte schließlich an fehlender Innovation . Ein solches Beispiel zeigt: Fehlende Sicherheit kann ein ganzes Projekt handlungsunfähig machen, während ein offenes Klima schnelle Lösungsfindung ermöglicht.

Psychologische Sicherheit beeinflusst auch die Mitarbeiterbindung. Teams mit hoher Sicherheit haben deutlich geringere Kündigungsraten. Eine BCG-Studie fand, dass nur etwa 3 % der Beschäftigten in sicheren Teams kündigungsbereit sind, gegenüber 12 % in unsicheren Teams . Besonders stark profitierten diverse Gruppen: In sicheren Teams nahm ihre Bindung so stark zu, dass sich ihre Kündigungswahrscheinlichkeit fast jener der Mehrheit angleichen konnte . Psychologische Sicherheit wirkt damit wie ein „Klebstoff“ für Motivation und Loyalität.

Typische Führungsfehler

Viele Führungskräfte unterschätzen, wie sehr ihr Verhalten das Sicherheitsgefühl beeinflusst. Gefahren lauern besonders in folgenden Verhaltensmustern:

  • Herablassende Kritik: Wenn du Vorschläge oder Fragen im Team sofort ablehnst, erstickst du den Austausch. Sarkastische Bemerkungen wie „Glaubst du wirklich, das bringt etwas?“ führen dazu, dass Mitarbeitende schnell verstummen .

  • Fehlerbestrafung: Strafen oder Schuldzuweisungen für Fehler erzeugen Angst. Meldet sich jemand mit einem Problem, kann das direkt auf negative Leistungsbeurteilungen oder Karrierechancen abfärben – und genau davor fürchten sich Mitarbeitende .

  • Einbahn-Kommunikation: Wer in Meetings nur Anweisungen erteilt, signalisiert: „Ich weiß alles.“ Das lässt die übrigen Stimmen im Raum verstummen. Psychologische Sicherheit entsteht dagegen, wenn du Fragen stellst und aktiv zuhörst.

  • Vertrauensbruch: Du gewinnst keinen Sicherheitspuffer, wenn du Zusagen brichst oder inkonsistent handelst. Konsequent integreres Verhalten – „tun, was man sagt“ – ist die Voraussetzung dafür, dass sich Mitarbeitende öffnen .

  • Falsches Harmonie-Streben: Manche Manager wollen Konflikte um jeden Preis vermeiden. Ein konfliktfreies Umfeld wirkt zwar angenehm, kann aber unbemerktes Widerstreben fördern. Psychologische Sicherheit ist kein Dauer-Wohlfühlmodus, sondern vielmehr ein „braver Raum“, in dem kontroverse Meinungen ohne Sanktionen geäußert werden dürfen .

Jedes dieser Muster untergräbt das Vertrauen. Wenn du nicht willst, dass dein Team aus Angst schweigt, musst du genau solche Fehler vermeiden. Sonst wird aus einem eigentlich cleveren Team ein stummer Einheitsbrei.

Hebel und Verhaltensweisen für Führungskräfte

Um psychologische Sicherheit zu stärken, solltest du bewusst anders handeln. Bewährt haben sich zum Beispiel folgende Maßnahmen:

  • Zuhören und einbeziehen: Nimm dir in Meetings Zeit zum Zuhören. Stelle offene Fragen und bitte alle um ihre Einschätzung . So zeigst du: Ich möchte von euch lernen.

  • Eigene Fehler zeigen: Steh zu deinen eigenen Misserfolgen. Erzähle auch mal von Dingen, die nicht perfekt liefen. Das signalisiert: Hier dürfen wir alle Fehler machen .

  • Fehlerkultur leben: Lobe Mitarbeitende, wenn sie einen Fehler melden. Mache klar, dass Meldungen willkommen sind – sie treiben das Team voran .

  • Integrität demonstrieren: Halte deine Versprechen ein und verhalte dich transparent. Wer konsequent so handelt, wie er sagt, baut Vertrauen auf .

  • Wertschätzung ausdrücken: Vermittle jedem im Team, dass sein Beitrag wertvoll ist. Bedanke dich für Vorschläge und Erfolge – so fühlen sich alle wichtig .

  • Kontinuierliches Lernen fördern: Etabliere feste Lernrituale (z.B. Retrospektiven nach jedem Sprint). Je mehr ihr offen reflektiert, desto mehr wird Lernen zur Selbstverständlichkeit .

  • Empathisch führen: Begegne deinem Team mit Verständnis und Respekt. BCG hat herausgefunden, dass besonders empathische Führungskräfte psychologische Sicherheit fördern .

Diese Hebel greifen am besten zusammen. Es hilft, wenn du selbst als Vorbild in Sachen Offenheit auftrittst. Trete Fehlern entschuldigend entgegen, ermutige zum Nachfragen und hole aktiv Feedback ein – etwa in Einzelgesprächen oder Team-Reviews.

Kulturwandel und agile Teams

Psychologische Sicherheit ist ein zentraler Pfeiler moderner Unternehmenskultur. Agile Methoden wie Scrum oder Kanban setzen auf Selbstorganisation und Lernen im Team – sie funktionieren nur, wenn sich alle trauen, offen zu sprechen. Wie Scrum.org betont: „Scrum absolutely requires psychological safety to be established both inside and outside of the team.“ Nur in einem solchen Umfeld können Teams eigenverantwortlich innovieren und wachsen.

Gleichzeitig ist der Aufbau von PS selbst Teil des Kulturwandels. Unternehmen, die Innovation, Zusammenarbeit und Vielfalt vorantreiben wollen, schaffen sich durch Sicherheit die nötige Basis. Experten betonen: In Teams mit hoher PS steigen Team-Performance, Lernen und Mitarbeiterzufriedenheit deutlich an . Für Tech-Organisationen, in denen schnelle Experimente über Erfolg entscheiden, ist das besonders wichtig: Nur wer nicht ständig um sein Standing fürchtet, wagt radikal neue Ideen.

Deshalb muss der Kulturwandel von der Führung kommen. Wenn die Leitungsebene Lernbereitschaft einfordert, Fehler vorlebt und eine klare Vision kommuniziert, entsteht allmählich ein neues Wir-Gefühl. Trainings, Team-Workshops und systematische Feedback-Runden helfen dabei, PS in der DNA des Unternehmens zu verankern. Schritt für Schritt etabliert sich so ein Umfeld, in dem das gesamte Team mutig agiert und gemeinsam bessere Ergebnisse erzielt.

Handlungsempfehlungen und Unterstützung

Wer psychologische Sicherheit fördern will, sollte Schritt für Schritt vorgehen. Einige zentrale Empfehlungen sind:

  • Selbstreflexion üben: Hole dir regelmäßig Feedback zu deinem Führungsstil ein, etwa durch anonyme Umfragen oder moderierte Retrospektiven. Nur wer sein eigenes Verhalten kennt, kann es gezielt ändern.

  • Offene Kommunikation etablieren: Beginne Meetings mit einem kurzen Check-in („Wie geht es euch?“) und ermutige jeden, aktuelle Themen anzusprechen. So wissen Mitarbeitende: Ihre Meinung ist gefragt.

  • Klare Regeln vereinbaren: Arbeite mit deinem Team Leitlinien aus (z.B. „Kein Unterbrechen“, „Fehler offen benennen“). Klare Normen geben allen Sicherheit.

  • Erfolge sichtbar machen: Feiere Teamerfolge offen (z.B. mit einem gemeinsamen Whiteboard). Wenn Ergebnisse und Fortschritte für alle sichtbar sind, stärkt das das gegenseitige Vertrauen.

  • Ständiges Lernen verankern: Führt nach jedem Projekt offene Retrospektiven durch, in denen ihr Fehler konstruktiv besprecht. Ein kontinuierlicher Lernprozess macht psychologische Sicherheit zur Selbstverständlichkeit.

  • Sichtbare Zeichen setzen: Schaffe Symbole für Offenheit (z.B. ein Feedback-Board oder ein „Lessons Learned“-Plakat). Solche sichtbaren Rituale signalisieren: Hier ist psychologische Sicherheit ein zentraler Wert.

Wenn du diese Schritte gehst, stärkst du dein Team nachhaltig. Oft zahlt es sich aus, externe Unterstützung hinzuzuziehen: Teamcoachings und individuelles Führungskräftesparring etwa haben vielen geholfen, Sicherheit systematisch aufzubauen. Auch eine Kulturdiagnose kann aufdecken, wo dein Team bereits stark ist und wo noch nachgelegt werden kann. So verankerst du psychologische Sicherheit langfristig – und erhöhst damit die Innovationskraft deines Unternehmens.

Quellen

  • Boston Consulting Group (2024). Psychological Safety Levels the Playing Field for Employees. BCG.

  • Edmondson, Amy C. (1999). Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams. Administrative Science Quarterly 44(2), 350–383.

  • Edmondson, Amy C. (2023). The intelligent failure that led to the discovery of psychological safety. Behavioral Scientist.

  • Google re:Work (o.J.). Guide: Understanding Team Effectiveness. rework.withgoogle.com.

  • Gebhardt, Raimund & von Ameln, Falko (2024). Psychologische Sicherheit erhöhen – Teamleistung fördern. Teil 2: Die Führung macht den Unterschied. CallCenterProfi (03/2024).

  • Manager Magazin (o.J.). Psychologische Sicherheit: Was Sie über das Konzept wissen müssen. manager-magazin.de.

  • McKinsey & Company (2023). What is psychological safety?.

  • me-company (o.D.). Psychologische Sicherheit: 5 Maßnahmen für erfolgreiche Teams. me-company.de.

  • Open Psychology Journal (2023). Rajeshwari Patil: The Power of Psychological Safety: Investigating its Impact on Team Learning, Team Efficacy, and Team Productivity.

  • Personio GmbH (o.D.). Psychologische Sicherheit im Team: Tipps, wie man sie fördert. personio.de.

  • Scrum.org (o.D.). Andy Hiles: Scrum requires psychological safety. scrum.org.

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