“Als wir ihn beförderten, verloren wir einen guten Ingenieur und bekamen einen schlechten Manager.” Dieses sarkastische Bonmot geistert durch viele Unternehmen – und es trifft oft ins Schwarze. Die bittere Wahrheit ist: Zahlreiche Top-Entwickler scheitern grandios, sobald sie Führungsverantwortung übernehmen. Der gefeierte Techie von gestern wird zum überforderten Chef von heute. Warum ist das so? Und viel wichtiger: Wie kannst du diesen Absturz vermeiden und den Wechsel vom Technik-Experten zum erfolgreichen Entscheider meistern?
Dieser Artikel richtet sich an dich – eine IT-Fachkraft, Softwareentwickler:in oder Techniker:in, die mit dem Gedanken spielt, Führungskraft zu werden – oder die bereits erste (schmerzhafte) Erfahrungen als Chef gemacht hat. Ich beleuchte provokant und praxisnah die typischen Hürden und Fehlannahmen beim Sprung ins Management. Außerdem zeige ich dir anhand meines eigenen Weges, wie der Wandel vom Techniker zum Entscheider gelingen kann. Freu dich auf schonungslose Einblicke, entscheidende Wendepunkte, echte Konflikte und wertvolle Erkenntnisse. Am Ende bekommst du konkrete Learnings und Empfehlungen, wenn du dich auf das Abenteuer Führung einlassen willst.
Warum so viele Techies als Führungskraft scheitern
Die Statistik fühlt sich ernüchternd an: Eine Vielzahl technisch brillanter Mitarbeiter versagen in Führungsrollen. Das liegt nicht daran, dass ihnen plötzlich die Intelligenz abhandenkommt – sondern daran, dass Management ein völlig anderer Job ist. Ein exzellenter Programmierer hat ein ganz anderes Aufgabenprofil als ein guter Teamleiter. Die benötigten Fähigkeiten überschneiden sich kaum. Was im Coding-Universum zum Erfolg führt (Detailversessenheit, Einzelarbeit, fachliche Perfektion) kann im Management sogar hinderlich sein (Mikromanagement, Kommunikationsdefizite, fehlende Delegation).
Man spricht hier gerne vom Peter-Prinzip: Menschen werden so lange befördert, bis sie in einer Rolle landen, in der sie inkompetent sind. Das passiert besonders häufig in der Technik-Karriere: Der beste Entwickler bekommt den Chefposten – und plötzlich wird offensichtlich, dass Führungsqualitäten nicht automatisch mitbefördert wurden. Plakativ ausgedrückt: Ein großartiger Techniker kann ein miserabler Manager sein, wenn er die neue Rolle nicht annimmt.
Typische Fehlannahmen auf dem Weg zur Führungskraft sind:
• „Fachliche Exzellenz genügt“: Du glaubst vielleicht, dein technisches Know-how würde schon ausreichen, um ein Team zu leiten. Irrtum! Als Führungskraft zählen plötzlich ganz andere Qualitäten. Statt tief im Code zu wühlen, musst du Generalist werden, der Überblick bewahrt und sein Team zum Erfolg steuert. Fachlich alles selbst machen zu wollen, ist kontraproduktiv – die Rolle verlangt ein breiteres Spektrum an Fähigkeiten, von Betriebswirtschaft bis Menschenkenntnis.
• „Ich kann weiter der Experte bleiben“: In deiner alten Position definierte sich dein Wert durch Expertenwissen – Kolleg:innen kamen für Rat zu dir. In der neuen Rolle geht es aber nicht mehr primär um fachliches Können. Du musst ein Generalist sein und deinen Bereich insgesamt zum Erfolg führen. Das bedeutet auch, Entscheidungen zu treffen, die nicht nur technische Aspekte, sondern Unternehmensziele, Budget und Personal berücksichtigen.
• „Entscheidungen sind wie technische Probleme“: Du bist es gewohnt, in klaren Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu denken. Doch im Management gelten solche Gewissheiten nicht mehr. Plötzlich sind Entscheidungen Dilemmata ohne eindeutige Lösung. Menschen reagieren nicht deterministisch wie Maschinen. Anweisungen werden hinterfragt oder informell kritisiert. Ehemalige Kolleg:innen akzeptieren Autorität nicht automatisch – manche arbeiten sogar gegen dich. Wenn du glaubst, Führung funktioniere wie ein Algorithmus, erlebst du dein blaues Wunder.
• „Ich bleibe der Kumpel von nebenan“: Häufig steigen Techies aus ihrem eigenen Team zur Führungskraft auf. Die Versuchung ist groß, so weiterzumachen wie bisher – du willst beliebt bleiben. Doch zu wenig Distanz kann fatal sein. Wenn kritische Situationen auftreten oder harte Entscheidungen anstehen (z. B. unpopuläre Veränderungen, Konflikte, Kündigungen), stehst du dir selbst im Weg. Der Rollenwechsel muss auch kulturell vollzogen werden: Vom Kollegen zur Führungskraft. Wenn du so tust, als habe sich nichts geändert, verlierst du an Klarheit und Wirkung.
Kurz gesagt: Der Schritt vom Fach- zur Führungskraft ist ein tiefer Einschnitt in deiner Karriere. Plötzlich prasseln ganz neue Anforderungen auf dich ein. Verantwortung für ein Team, Druck von oben, Erwartungen von allen Seiten. Die Komfortzone der Technik wird schlagartig verlassen. Kein Wunder, dass viele am Anfang überfordert sind. Doch Überforderung ist nicht gleich Scheitern – scheitern tust du erst, wenn du nichts dazulernst und in alten Mustern verharrst.
Zwei Welten: Tech-Kultur vs. Führungskultur
Warum fühlt sich der Wechsel so fremd an? Weil Technik und Führung zwei unterschiedliche Kulturen sind – nahezu zwei Welten mit eigenen Werten, Sprachen und Spielregeln.
In der Tech-Kultur herrschen meist folgende Prinzipien: Klar definierte Probleme, logische Lösungen, individuelle Leistungen, Meritokratie, oft informelle Kommunikation. Erfolg ist objektiv messbar: funktionierender Code oder gelöste Tickets.
Die Führungskultur dagegen dreht sich um Menschen, Prozesse und Ambiguität. Probleme sind oft menschenbezogen: Konflikte im Team, Motivationstiefs, unterschiedliche Interessen. Lösungen sind selten eindeutig „richtig“ oder „falsch“. Es zählt, dass du Menschen gewinnst, statt sie nur zu überzeugen.
Diese kulturellen Unterschiede führen zu Missverständnissen und Stolpersteinen – vor allem, wenn du deine neue Rolle nicht bewusst reflektierst.
Mein Aufstieg vom Techniker zum Entscheider
Ich habe genau diesen Weg hinter mir. Mein Werdegang – vom Fachinformatiker zum Unternehmer – liefert ein Lehrstück, wie aus einem Techie eine Führungskraft werden kann – mit allen Höhen und Tiefen.
Vom Code zur Personalverantwortung: Start mit Hindernissen
Meine Karriere begann klassisch: Ausbildung zum Fachinformatiker Anwendungsentwicklung, dann Tätigkeit als Softwareentwickler. Ich war brillant im Coding, löste knifflige Probleme im Handumdrehen und wurde schnell zum unverzichtbaren Experten. In Meetings hörte man oft: „Frag doch Max, der weiß das bestimmt.“ Diese Anerkennung als Fachmann gefiel mir – sie prägte mein Selbstbild.
Doch ich entschied mich bewusst für den nächsten Schritt – nicht durch eine interne Beförderung, sondern durch ein externes Stellenangebot: eine Führungsposition in einem anderen Unternehmen. Der Rollenwechsel kam nicht überraschend, sondern war eine klare Entscheidung, mich weiterzuentwickeln – weg vom reinen Technik-Fokus, hin zu Verantwortung für Menschen, Projekte und Richtung.
Im neuen Unternehmen übernahm ich eine Leitungsrolle in der Softwareentwicklung. Und obwohl die Aufgaben neu waren, brachte ich von Anfang an etwas mit, das vielen Techies fehlt: die Bereitschaft zur Delegation. Ich wusste, dass ich nicht alle Aufgaben selbst erledigen konnte – und wollte. Stattdessen setzte ich auf Vertrauen, klare Verantwortlichkeiten und regelmäßige Kommunikation. Das Team merkte schnell: Hier ist jemand, der zwar technisch tief versteht, aber nicht micromanagt.
Trotzdem war der Übergang nicht frei von Herausforderungen. Ich musste lernen, mit Widerständen umzugehen, Entscheidungen zu treffen, auch wenn nicht alle Informationen vorlagen, und mich im Spannungsfeld zwischen operativem Alltag und strategischer Führung zu behaupten. Doch statt mich im Fachlichen zu vergraben, entwickelte ich früh die Fähigkeit, mein Team zu befähigen, statt es zu dominieren. Ich entdeckte: Führung ist weniger Kontrolle – und mehr Ermöglichung.
Mit der Zeit entwickelte ich mich weiter, übernahm größere Verantwortungsbereiche, machte einige Schulungen und Zertifizierungen, startete letztendlich ein psychologisches Studium und gründete schließlich die Deter Consulting GmbH. Heute bin ich nicht nur Unternehmer, sondern auch Keynote Speaker für agile Führung und psychologische Sicherheit. Ich kombiniere meine Tech-Wurzeln mit tiefem Verständnis für Führung, Kultur und Organisation. Mein Werdegang zeigt: Du musst nicht durch ein Tal des Scheiterns gehen, um Führungskraft zu werden – aber du musst bereit sein, dein eigenes Denken konsequent zu hinterfragen.
Learnings und Empfehlungen für (angehende) Tech-Führungskräfte
Was kannst du aus all dem mitnehmen? Im Folgenden einige konkrete Learnings und Tipps, um den Übergang in eine Führungsrolle erfolgreich zu gestalten:
• Akzeptiere das neue Rollenverständnis: Dein Job ist nicht mehr, selbst der beste Facharbeiter im Team zu sein. Dein Job ist jetzt, dein Team zum Erfolg zu führen. Das erfordert einen mentalen Wechsel. Mach dir bewusst, dass du nicht mehr Kollege, sondern Coach und Entscheider bist. Es ist normal, dass sich Beziehungen ändern – halte eine professionelle Distanz, ohne menschlich kalt zu werden.
• Lerne zu delegieren – und zwar richtig: Delegation bedeutet mehr als Aufgaben abladen. Gib Verantwortlichkeiten mit den nötigen Befugnissen ab und vertrau deinen Mitarbeitenden, es auf ihre Weise zu lösen. Falle nicht in die Falle, ständig zu denken: „Hätte ich selbst gemacht, wäre es besser.“ Gerade ehemalige Spezialisten neigen dazu, sich in jede fachliche Diskussion einzumischen und ihre Meinung als die einzig richtige zu sehen. Das Ergebnis? Deine Mitarbeitenden sind verärgert, und du bist überlastet. Übe dich darin, loszulassen: Delegiere Fachfragen an die Expert:innen im Team und akzeptiere auch andere Lösungswege als deinen eigenen. So schaffst du Freiräume, um dich um deine eigentlichen Führungsaufgaben zu kümmern – etwa Strategie, Mitarbeiterentwicklung, Abstimmung mit dem Management.
• Investiere in Soft Skills und Kommunikation: Technische Expertise allein reicht nicht (mehr). Arbeite gezielt an deinen Führungsqualitäten: aktives Zuhören, verständlich kommunizieren, Feedback geben und nehmen, Konflikte moderieren. Sei transparent mit Informationen – teile Wissenswertes mit dem Team, statt Wissen für dich zu behalten. Schaffe regelmäßige Austauschformate (z. B. wöchentliche Team-Check-ins), in denen es nicht um Sachthemen geht, sondern um Stimmung, Ideen und Sorgen. Damit zeigst du, dass du die menschliche Dimension ernst nimmst.
• Setze klare Prioritäten und lass operatives Tagesgeschäft los: Als neue Führungskraft neigst du entweder dazu, alles operativ weiter selbst zu machen oder dich im Management-Papierkram zu verlieren. Finde ein gesundes Mittelmaß. Klar ist: Du kannst nicht mehr alles im Detail machen wie früher. Konzentriere dich auf das, was nur du in deiner Rolle tun kannst – z. B. Entscheidungen treffen, Ziele setzen, dein Team verteidigen. Routineaufgaben und Detailarbeit sollten andere übernehmen. Habe den Mut, auch mal „Nein“ zu sagen oder Aufgaben abzugeben, die nicht in deinen neuen Verantwortungsfokus gehören. Dein Erfolg wird daran gemessen, ob der Bereich unter deiner Führung erfolgreich ist – nicht daran, ob du persönlich jede Zeile Code reviewed hast.
• Suche dir Unterstützung: Du musst das Rad nicht neu erfinden. Tausche dich mit anderen Führungskräften aus, such dir einen Mentor oder Coach. Es ist kein Zeichen von Schwäche, Ratschläge anzunehmen – im Gegenteil: Es zeigt, dass du lernen und besser werden willst. Viele Unternehmen bieten Trainings für neue Manager:innen an. Nutze solche Angebote. Reflektiere dein Handeln regelmäßig, hol Feedback von deinem Team ein und justiere deinen Stil nach. Führung kann man lernen – aber nicht allein im stillen Kämmerchen.
• Bleib dir selbst treu, nutze deine Tech-Stärken sinnvoll: Auch wenn du dich veränderst, musst du nicht alles ablegen, was dich als Techie ausgezeichnet hat. Deine analytische Denkweise, deine Problemlöse-Mentalität – das sind Fähigkeiten, die dir auch als Chef helfen können, wenn du sie richtig einsetzt. Zum Beispiel: Triff Entscheidungen faktenbasiert und transparent – das schätzen Teams. Oder setz deine technische Expertise punktuell als Coach ein, um jüngere Entwickler:innen zu fördern (ohne ihnen das Ruder aus der Hand zu nehmen!). Deine Herkunft als Techie kann eine Stärke sein, wenn du lernst, sie im richtigen Moment einzubringen – und dich im restlichen Moment zurückzunehmen.
Fazit: Techies können großartige Führungskräfte sein – wenn sie bereit sind, sich zu verändern
Der Schritt vom Tech-Profi zur Führungskraft ist keine Beförderung im klassischen Sinne, sondern eigentlich ein beruflicher Neustart. Viele unterschätzen das – und genau deshalb scheitern viele. Doch mein Weg zeigt: Ein Scheitern ist nicht unvermeidlich. Im Gegenteil: Du kannst eine hervorragende Führungskraft werden, wenn du den Mut hast, dich auf neues Terrain zu wagen und kontinuierlich dazuzulernen.
Mach dir klar, worauf du dich einlässt. Bereite dich vor, lerne von denen, die den Weg gegangen sind (inklusive der Fehler, die sie gemacht haben). Sei offen dafür, dass du anfangs unsicher sein wirst – das ist normal. Wichtig ist, nicht stehenzubleiben: Pass dich an, justiere nach, hol Feedback ein. Wenn du merkst, dass ein Ansatz scheitert, hab die Größe umzuschwenken.
Ich bin vom Techniker zum Entscheider geworden, weil ich verstanden habe, dass Führung kein Solo ist, sondern ein Teamspiel. Ich habe gelernt, dass Erfolg als Chef bedeutet, andere zum Leuchten zu bringen, statt selbst im Rampenlicht zu stehen. Genau das ist die Kernaufgabe einer Führungskraft – besonders in der Technik, wo die besten Ideen oft im Team entstehen und nicht vom Chef allein.
Abschließend meine provokante These: Nicht die Technik schreckt Techies in Führungsjobs in die Flucht, sondern die Menschen. Wenn du aber lernst, genauso enthusiastisch an Menschen und Organisation zu „basteln“ wie an Software, dann kannst du beides verbinden – technisches Verständnis und Führungsfähigkeit – und so ungemein wertvoll für dein Unternehmen sein. Es liegt an dir, ob du ein weiterer gescheiterter Techie-Chef wirst – oder ob du die Ausnahme bist, die es trotzdem gelingt. Die Werkzeuge und Erfahrungen liegen vor dir – nutze sie! Viel Erfolg auf deinem Weg vom Techie zur Führungskraft.
Quellen
Google: Project Aristotle (2016–2019)
https://rework.withgoogle.com/
Gallup Engagement Index Deutschland 2023
https://www.gallup.com
Deloitte Human Capital Trends 2023
https://www2.deloitte.com/de/de/pages/human-capital/articles/human-capital-trends.html
McKinsey & Company – The Boss Factor (2021)
https://www.mckinsey.com
Rosenstiel et al. – „Führung von Mitarbeitern“ (UTB, 2021)
Marshall Goldsmith – „Was Sie hierher gebracht hat, bringt Sie nicht dorthin“
Computerwoche – „Vom Entwickler zur Führungskraft: Warum viele scheitern“ https://www.computerwoche.de/a/vom-entwickler-zur-fuehrungskraft,3549561
Harvard Business Review – „Why New Managers Fail“ https://hbr.org/2005/06/why-new-managers-fail